Jeder Schokoladenliebhaber, der eine Reise in den Urwald unternimmt, hat diesen Traum: In einem einsamen Tal des Amazonas eine verloren geglaubte Kakaosorte zu entdecken und aus ihr die beste Schokolade der Welt zu machen. Für Brian Horsley und seinen Stiefvater Dan W. Pearson wurde dieser Traum Realität. Dabei waren die beiden alles andere als Experten und fanden die seltene Sorte eher zufällig. Pearson gab in einem Interview zu, dass ihm Kakao bis dahin ziemlich unbekannt war. Vielleicht bestaunte er deshalb einen äußerlich recht normalen Kakaobaum. Er öffnete eine der Früchte und fand weiße Kakaobohnen darin. Kakaobohnen sind üblicherweise lila – soviel wusste er dann doch. Später stellt sich heraus: Er hat die Sorte Nacional wiederentdeckt, von der man annahm, dass sie seit einem Jahrhundert ausgestorben sei.

Die Wiederentdeckung im Marañón-Tal

Der Marañón entspringt nur 160 km von der Pazifikküste entfernt in den Anden. Er fließt durch tiefe Täler zunächst nach Norden und ist einer der zahllosen Flüsse, die den gesamten Norden Südamerikas durchziehen, um später in den Amazonas zu fließen. Im Jahr 2007 sind Horsley und Pearson auf dem Oberlauf des Flusses unterwegs. Dan Pearson ist zu dem Zeitpunkt noch Investmentbanker. Horsley beliefert Bergbau-Unternehmen mit Ausrüstung und Verpflegung. Heute suchen sie Obst für die Mienenarbeiter. Weit abseits von größeren Ansiedlungen durchqueren sie eine tiefe Schlucht. Viele kleine, abgelegene Farmen bauen hier alle möglichen Sorten von Früchten und Gemüse an. Ein Baum mit außergewöhnlich großen Früchten erregt ihre Aufmerksamkeit. Es ist einer der Kakaobäume, die hier in Gesellschaft mit anderen Obstbäumen und dem Urwald wachsen. Beim Öffnen der Schoten stoßen sie auf einen ungewöhnlich hohen Anteil an weißen Kakaobohnen. Weiße Kakaobohnen? Bisher kannten sie nur lila Bohnen. Eher mit dilettantischer Begeisterung über diesen Fund als aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis senden sie später 14 Pflanzen-Proben zur USDA, einer Forschungseinrichtung des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums. Der große Wurf! Die Wissenschaftler finden heraus, dass es sich um Kakao einer Sorte handelt, die als ausgestorben gilt: Nacional. Die 14 Proben stammen von der Farm eines Bauerns mit Namen Fortunato. Die vierte Probe ist genetisch absolut rein. Ihm zu Ehren nennen Horsley und Pearson den außergewöhnlichen Kakao: Fortunato No. 4. Vierzehn Proben senden sie in das Labor. Die vierte – sie stammt von der Farm eines Bauern mit Namen Fortunato – ist reiner Nacional.

Pure Nacional – Verschollen im Urwald

Genetisch ist Sorte Nacional dem minderwertigen Massenkakao Forastero sehr ähnlich. Aufgrund ihrer überragenden geschmacklichen Eigenschaften wird sie allerdings mittlerweile neben Criolo, Forastero und Trinitario oft als vierte eigenständige Sorte genannt. Die Besonderheit: 40% – 60% der Bohnen sind weiss und nicht wie üblich lila. Sie enthalten weniger bittere Anthocyane, die sonst die anderen Geschmacksnuancen überlagern. Die spanischen Konquistadoren entdeckten bereits gegen 1600 die besondere Qualität des Kakaos. Er wurde aber wieder vergessen bis ihn Anfang des 19. JH ein Schweizer Chocolatier wiederentdeckte. In den folgenden 100 Jahren beherrschte Kakao der Sorte Nacional den Markt für feine Schokolade. Das Ursprungsland dieses begehrten Kakaos war Ecuador. Nirgendwo sonst fand sich Nacional. Und 1916 geschah dort eine Katastrophe: Praktisch alle Nacional-Bäume fielen einer Seuche zum Opfer. Nur Kreuzungen mit anderen Sorten überlebten. Purer Nacional galt als ausgestorben. Bis er eben 2007 in Peru wiederentdeckt wurde. Genetisch gesehen ist Nacional aus Peru oder aus Ecuador zwar absolut identisch, aber es gibt ein paar Unterschiede. Verglichen mit dem ecuadorianischen Nacional bietet der peruanische höhere Erträge und eine höhere Seuchenresistenz. Bemerkenswert ist außerdem sein hoher Anteil an weißen Samen (40 – 60%) und die Vorkommen in höheren Gebirgsregionen (3.500 feet anstatt 2.000).

Fortunato No. 4 – Schatzsuche heute

Die beiden Entdecker Pearson und Horsley beschlossen, den Schatz selbst zu heben und agierten danach äußerst vorsichtig. So ist bis heute nur wenigen Eingeweihten der genaue Fundort bekannt. Sie suchten zunächst Rat bei internationalen Schokoladen-Experten wie beispielsweise dem schweizer Chocolatier Franz Ziegler oder Mark Christian, dem Gründer des Portals C-Spot. Ermutigt von der begeisterten Resonanz gründeten sie das Familien-Unternehmen Marañón Chocolate und vermarkten fortan die wiederentdeckte Sorte unter dem Namen Fortunato No. 4. Heute bauen knapp 200 Familien in der Schlucht des Marañón die Sorte Nacional an. Der größte Teil der Bäume sind Klone aus der Mutterpflanze des Bauern Fortunato, die das Unternehmen an die Kleinbauern verteilt. Direkt nach der Ernte – innerhalb eines Tages – werden sie zu Fuß, mit Eseln oder Motorrädern zur Weiterverarbeitung an den lokalen Unternehmenssitz von Marañón Chocolate transportiert. Dort werden sie getrocknet, fermentiert und geröstet. „Die Kleinbauern und ich mussten Qualitätsverfahren erlernen. Weiße Bohnen müssen anders gegoren und getrocknet werden als lila Bohnen, was wir anfangs nicht wussten“, berichtet Horsley. Nach zwei Jahren und der Hilfe von Experten haben sie den optimalen Verarbeitungsprozess für die rohen Bohnen gefunden. Der Anteil an weißen Bohnen soll systematisch durch Selektion und Züchtung gesteigert werden. Durch eine einheitlichere Qualität der Bohnen können Fermentation und Röstung besser auf die Bohnen abgestimmt werden. 12 Tonnen wurden 2011 geerntet und es sollen mehr werden. Der weitaus größte Teil der Bohnen geht in die Schweiz zu einem der angesehensten Schokoladenproduzenten – zu Felchlin. Von dort wird die Schokoladen-Rohmasse weltweit verschiedenen Chocolatiers zugeteilt.

Exklusivität als Marketing-Konzept

Beim Versuch, diesen Schatz zu vermarkten, musste das sich das Unternehmen häufig den Vorwurf der Intransparenz gefallen lassen: Der genaue Fundort des Kakaos würde geheimgehalten. Ebenso der Name des Produzenten Felchlin. Außerdem wiedersetzte sich Marañón Chocolate allen Begehrlichkeiten, Setzlinge dieser einzigartigen Sorte an Farmer anderer Anbaugebiete zu verteilen. Das Argument der Kritiker: „Man könne so das Potential auf anderen Böden oder anderen Terroirs erforschen.“ Fortunato No. 4 ist ein Nacional, der im „Ursprungsland“ verschwand und an anderer Stelle entdeckt wurde. Das große Manko dieses peruanischen Nacional ist allerdings ein Aroma, das im Vergleich zum ecuadorianischen Nacional zurückbleibt. Natürlich finden sich auch einige bekannte Köche, Tester und Chocolatiers, die die Schokolade als überragend im Aroma bejubeln. Aber trotzdem scheint hier wieder das Terroir eine wichtige Rolle zu spielen – der peruanische Nacional ist dem ecuadorianischen – vor allem auch dem Arriba – unterlegen. Und da ist wieder das Gedankenspiel: Was wäre, wenn dieser Nacional wieder in seiner „Heimat“ Ecuador kultiviert würde?

Marañón Chocolate – Ehrgeiz und Leidenschaft

Die Entdeckung des Fortunato No. 4 ist ein echtes Schokoladenabenteuer. Kakao von einer Sorte, die ausgestorben schien. Der seltenste Kakao der Welt. Verständlicherweise versuchen Brian Horsley und Dan W. Pearson die aufregende Geschichte zu vermarkten und die Exklusivität des Kakaos so lange wie möglich für sich zu nutzen. Davon profitieren übrigens ja auch die lokalen Kleinbauern als Zulieferer. Marañón Chocolate nimmt sich Zeit und ist vorsichtig. Fortunato No. 4 ist schon jetzt eine gute Schokolade, deren Potential noch höher ist. Das kleine Familienunternehmen hat den Ehrgeiz und die Leidenschaft, dieses Potential zur Perfektion zu entwickeln. Und irgendwann – werden Setzlinge des peruanischen Nacional auch woanders auftauchen.

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